Ich freue mich riesig. Heute werde ich meine tolle Vikariatsgruppe wiedersehen. Ausgestattet mit Kleid, Blazer und Schuhen der Kategorie schick machen mein Mann und ich uns auf zum ersten Einführungsgottesdienst für die Vikare und Vikarinnen in der EKiR. Ich bin aufgeregt, der Präses wird kommen und ich soll im Gottesdienst die Lesung machen. Auch unsere Familien werden da sein.
Als wir vor der Gemarker Kirche in Barmen aus dem Auto steigen, sind meine Eltern schon da. Ein bisschen fühlt es sich so an, als ob nicht nur ich, sondern auch meine Eltern heute eingeführt werden: Endlich kann ich sie auch auf einer anderen, erlebbaren Ebene mal mit meinem Studium und meinem Beruf vertraut machen. Später nach dem Gottesdienst werden sie bei Kaffee und Kuchen auch meine jahrelangen Ansprechpartner aus dem Landeskirchenamt kennenlernen und so wird sich das Mysterium Landeskirchenamt in Wohlgefallen auflösen. Es ist schön, mal in einer entspannten Atmosphäre miteinander reden zu können, ohne Examensdruck oder anderer Anfragen.
Als der Gottesdienst beginnt, sind alle da. Der Präses, die Kolleginnen von der Vikarsvertretung, der Leiter des Predigerseminars. Unser Ausbildungsdezernent Volker Lehnert – als Liturg heute sogar im Talar. Jetzt im Vikariat scheinen sich nicht nur die eigenen Funktionen und Sichtweisen noch einmal zu verändern.
„Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.“, lese ich vor, als ich an der Reihe bin. Ja, denke ich mir, Predigen – das find ich schwer. Ich meine: Ich bin 27 Jahre alt. Ich habe wirklich zu vielen Sachen eine Meinung – aber zu vielen Sachen eben auch nicht. Da tausche ich mich lieber mit anderen über die Argumente aus:
Was spricht dafür?
Was spricht dagegen?
Wie könnte man was besser machen?
Aber predigen?
So ganz alleine da vorne mit dem, was ich allein so denke?
Ich allein im Predigtalltag alleine mit dem Bibeltext und meinen klugen Gedanken?
Ach nein!
Ich freue mich auf das Lernen in meiner Vikarsgemeinde: von meiner Mentorin, die mir Mut macht, und im Predigerseminar, von all den anderen.
Und während ich vorne am Pult den Text aus dem Buch des Propheten Jeremia weiterlese, spreche ich mir selbst die Antwort zu:
„Der HERR aber sprach zu mir: Sage nicht: ‚Ich bin zu jung‘, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR.“
Ja, denke ich mir, so könnt’s gehen.
Mehr Vertrauen…
Mich als Gesandte verstehen…
Wir schöpfen alle aus Quellen, die wir nicht selbst gefüllt haben, sagt Präses Rekowski in seiner Predigt. Wir müssten nicht die Kirche retten, aber wir seien Gesandte Gottes. Ich denke daran, wie es bei Jeremia weitergeht: „Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: ‚Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund.‘“ (Jer 1,9).
Im Halbkreis wird meine Vikariatsgruppe mit Handschlag und Segen auf diesen Weg als Gesandte geschickt. Wie ich da so vorne stehe und meine Kirche mich derart empfängt und begrüßt, ja annimmt, kommen Kopf und Herz gehörig durcheinander. Ich bin voller Emotionen und mitten darin große Dankbarkeit und große Freude.
Und all das an solch einem geschichtsträchtigen Ort.
In der Gemarker Kirche wurde vor 82 Jahren die Barmer Theologische Erklärung verabschiedet – das theologische Fundament der Bekennenden Kirche. Ich weiß, dass mein Uropa da sehr aktiv war. Meine Oma und mein Großonkel wurden damals im Wohnzimmer ihres Pfarrers konfirmiert, weil die nationalsozialistischen Deutschen Christen sie nicht in die Kirche ließen. Wenn sie wüssten, wo ich heute bin.
Auf dem Heimweg bin ich dankbar, froh, glücklich und tatsächlich ein wenig überrascht, wie emotional ich diese Veranstaltung in dieser Kirche erlebt habe. Ein Glück soll es diesen Gottesdienst ab diesem Jahr immer für die neuen Kolleginnen und Kollegen im Vikariat geben. Vielen Dank an alle, die sich dafür eingesetzt haben, dass wir diesen Moment erleben durften!
Als ich diesen Blogeintrag schreibe – im übrigen den ersten meines Lebens – klingelt es an der Haustür. Mein Talar ist da! Der neue Lebensabschnitt geht auch mit einem neuen Kleidungsstück in meinem Leben einher.
Und so schreibe ich diese letzten Sätze im Talar.