Alle Artikel mit dem Schlagwort: Auslandssemester

Jerusalem-Begegnung

Nur wenige Augenblicke vor jener wundersamen Begegnung waren meine Gedanken noch tief in mein Buch vertieft. Auch das bunte, frühsommerliche Treiben in dem Jerusalemer Park um mich herum hatte ich ausgeblendet. Eine fremde Stimme brachte mich zurück. „Bible?“, fragte sie. Ich blickte auf. Vor mir stand ein offensichtlich jüdisch-orthodoxer Mann. Ich erkannte ihn an seinem typischen Aussehen: weißes, langärmliges Hemd und schwarzer Hose, das Gesicht hinter einem Vollbart versteckt und auf dem Kopf eine Kippa. “Is that… Bible?” wiederholt er und deutet auf das Buch in meiner Hand. Ich merkte, wie er sich mit seinem holprigen Englisch abmühte und antworte also auf Hebräisch: „Nein, keine Bibel“, sagte ich und zeigte ihm das Buch des israelischen Schriftstellers Amos Oz, das ich auf meinen Beinen liegen hatte.  Jetzt war er vollkommen überrascht, fragte fast eilig ob er sich zu mir setzen dürfe, und wollte dann auch gleich wissen, warum ich denn Hebräisch könne? Ich erklärte ihm, was ich während meiner Zeit in Israel schon unzähligen Neugierigen erzählt hatte. Von meinem Jahr an der Universität in Jerusalem. Dass …

Differenzhermeneutik und Konvivenz – mal ganz praktisch

Schlussendlich der letzte Teil der Trilogie: Theologie auf Japanisch. Der Unterricht in Kyoto wurde mit einer Abschlussfahrt nach Tokyo belohnt, die einen tatsächlich an die guten alten Klassenfahrten in der Mittelstufe erinnerte. Danach hieß es dann „Feiern für die Götter“, und ich rede hierbei vom Geburtstag des Kaisers (23.12.), Weihnachten, Silvester und Neujahr. Letzteres dauert drei Tage, in denen man die Familie besucht, putzt, die Götter des neuen Jahrs willkommen heißt und Unmengen Mochi verpeist (s. Bild). Kurios: Weil der 24. Dezember kein Feiertag ist und somit jeder bis spätabends arbeitet, feiert man Weihnachten halt schon am 4. Advent. Übrigens auch Nicht-Christen, doch für die ist das ganze mehr so ein „Fest der Liebe“, und ich rede nicht von Agape. Von nun an trudelten die ISJPler so langsam aus, manche bekamen noch Besuch, manche absolvierten Praktika. Jedenfalls standen die Zeichen auf Freizeit. In dieser durfte ich zwei Wochen dem anglikanischen Priester meiner Ersatz-Heimatgemeinde über die Schulter schauen, was zweimal  täglich Eucharistie, einen Sonntag voller Gottesdienste und Sunday Schools, Bibelkreise en masse und Kindergärtnerei bedeutete. Dazu …

Büffeln und Staunen im Land des Lächelns

Hier nun mein zweiter Beitrag zum Verlauf des ISJP in Kyoto letzten Winter: Die erste Hälfte des ISJP, von Oktober bis Weihnachten, lief so ab, dass man wie aus Deutschland gewohnt 12 SWS im Klassenraum verbringt, wobei der Montag frei war und oft für Exkursionen genutzt wurde. Von denen hatten wir gefühlt jede Woche eine, wobei wir entweder mit japanischen Studenten aus allen möglichen Fachrichtungen zusammengeführt wurden, oder die Sightseeing-Spots in Kyoto und Umgebung erkundeten (wovon es mehr gibt als in ganz NRW), oder Vertreter verschiedener Religionen trafen, z.B. von Omoto-Kyou oder Tenri-Kyou. Abschlussprüfungen gab es keine, weshalb manche von uns ausreichend Zeit hatten, auch die Sub- und Popkultur Japans genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei der Freizeitgestaltung im relativ anonymen und zurückhaltenden Japan war auch das internationale Studierendenwohnheim, in dem die EMS vier von uns untergebracht hatte, sehr hilfreich. Allein das Zusammenleben mit Japanern, Koreanern, Chinesen, Europäern, Amerikanern, Nepalesen und Madagassen war schon die Reise wert! Unsere Fächer umfassten neben Buddhismus, Shintoismus, japanischem Christentum und sog. “Neuen Religionen” auch die Theologie der Religionen, …

日本へようこそ – Willkommen in Japan

Boah…[Mund offen] So geht es wahrscheinlich vielen, wenn sie nach 20 Stunden Flug aus ihrem kleinen Studentenstädtchen in der Megacity Osaka ankommen, umringt von leuchtturm-ähnlichen Wolkenkratzern und mit dem sich langsam bahnbrechenden Gefühl, am anderen Ende der Welt zu sein. Ich bildete da keine Ausnahme. Am 13. September 2015 begann mein Auslandssemester in Kyoto, der tausendjährigen und kulturellen Hauptstadt Japans, wo ich an einem kleinen Forschungsinstitut, zusammen mit sechs anderen Studenten aus Europa und Asien, die japanischen Religionen studieren sollte. Anlass für die Bewerbung für dieses Programm (ISJP), dass von der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS) in Stuttgart schon seit über zehn Jahren organisiert wird, war der Wunsch, eine gewisse Distanz zum Theologiestudium in Heidelberg zu gewinnen, endlich mal praktisch und am Menschen die Theorien der Religionswissenschaft zu erproben, und mir den Jugendtraum zu erfüllen, längere Zeit in Japan zu leben. Dafür hatte ich schon zu Schulzeiten Japanisch gelernt und letztes Jahr nochmal damit angefangen, als ich feststellen durfte, dass sich die Existenz als Theologe nicht mit einem Faible für Fernost widerspricht, wovon ich seit …